Herr Rink, die Grünen fordern die Aufhebung der Tiefflugzone in 820 Meter über Normalnull. Ist das realistisch? Entweder man hebt sie ganz auf oder auf mindestens 950 Meter an. Wenn das nicht geschieht, wird es auf der nördlichen Ostalb nicht möglich sein, Windkraftanlagen zu errichten, die wirtschaftlich zu betreiben sind. Warum? Der Bärenberg bei Bartholomä, um den Volkmarsberg, die Hochflächen bei Waldhausen und der Braunenberg sind um die 700 Meter hoch. Wenn die Flügelspitze unter 820 Meter liegen muss, sind nur kleine Anlagen mit einer Nabenhöhe von maximal 80 Meter möglich. In Waldgebieten lassen sich diese Anlagen aber nicht wirtschaftlich betreiben. Die Tiefflugzone ist ein Relikt aus dem Kalten Krieg und diente dem amerikanischen Fliegerhorst Leipheim als Übungsgelände. Seit 15 Jahren ist der Flugplatz ein Gewerbegebiet, die Tiefflugzone ist überflüssig geworden. Das Land Baden-Württemberg und der Regionalverband müssen beim Luftfahrtbundesamt eine gesetzliche Veränderung erwirken.
Sie wollen die Nabenhöhen auf mindestens 140 Meter anheben und größere Rotoren zulassen – warum? Der süddeutsche Raum ist geprägt von Mittelgebirgen. Die Topographie verursacht starke Wirbel, ebenso der Wald. Dies nennt man Rauigkeit des Standorts. Diese Verwirbelungen nehmen mit zunehmender Höhe ab, der Widerstand durch die Topographie sinkt, der Wind-Ertrag nimmt somit zu. Außerdem steigt die Windgeschwindigkeit mit zunehmender Höhe über Terrain. Als Faustformel gilt: ein Prozent Mehrleistung je ein Meter Nabenhöhe. Schließlich muss, um die geringere Windgeschwindigkeit in Süddeutschland auszugleichen, der Rotordurchmesser – sprich die Winderntefläche – vergrößert werden, um denselben Windertrag zu erzielen.
Windräder werden also immer höher? Die Hersteller der Windkraftanlagen tragen dem Rechnung und bieten für Süddeutschland Maschinen mit vergrößerten Rotoren und größeren Nabenhöhen an. Stand heute sind Spannbeton-türme mit rund 140 Meter Höhe und Rotordurch-messer von 120 Meter. Die Entwicklung geht zum 160-Meter-Turm und zum 70-Meter-Flügel. Windkraftanlagen sind raumbedeutsam, dessen sind wir uns alle bewusst. Fährt man die B 466 von Nürnberg Richtung Nördlingen, sieht man bei klarem Himmel den Windpark Waldhausen etwa ab Oettingen.
Was heißt raumbedeutsam?. Unser Auge nimmt die Windkraftanlagen am Horizont wahr. Aber ob die Gesamthöhe 140 Meter oder 200 Meter beträgt, kann das Auge nicht wahrnehmen. Viel wichtiger für eine optische Störung ist die Drehgeschwindigkeit der Rotoren. Je geringer die ist, desto weniger fühlen wir uns unbewusst gestört. Anlagen mit großen Rotordurchmessern laufen langsamer und sind so optisch verträglicher.
Sie wollen auch bestehende Windparks erweitern. Glauben Sie, die Grünen haben diesmal weniger Gegenwind als früher, etwa in Aalen-Waldhausen? Ich bin kein Freund von Wildwuchs, wir brauchen Regeln. Es macht durchaus Sinn, einen bestehenden Park zu erweitern. Die Infrastruktur wie Netzkabel und Netzanschluss sind vorhanden, und Betriebsergebnisse sind besser als jedes Windgutachten. An dieser Stelle möchte ich nochmals betonen, dass der Regionalverband einstimmig für eine partielle Fortschreibung im Bereich der regenerativen Energien gestimmt hat.
Bleibt es dabei, dass die Regionalverbände die Regeln aufstellen, wo Windräder gebaut werden dürfen und wo nicht? Das ist im Moment nicht klar. In 14 Tagen wissen wir mehr. Dann berät der Landtag darüber, ob die Zuständigkeit zum Land und den Kommunen kommt oder bei den Regionalverbänden bleibt.
Wie überzeugen Sie die Menschen? Die Katastrophe von Fukushima spricht für sich. In Berlin und Stuttgart sind die Weichen bereits gestellt worden. Wir in Ostwürttemberg haben den Rohstoff Wind glücklicherweise in ausreichender Stärke zur Verfügung. Das kann unsere zukünftige Stärke werden, indem wir weitgehend energieunabhängig werden und die Wertschöpfung in der Region bei den Bürgern halten. Hierfür müssen wir parteiübergreifend werben und die Zukunft mit ihren Vorteilen skizzieren. Wir brauchen ein Netzkonzept für die Region, das angrenzende Räume mit erfasst.
Meteorologen sagen, der Wind hat durch den Klima-wandel in der Region eher nachgelassen. Rechnen sich Windräder in ein paar Jahren überhaupt noch? Diese Frage kann niemand seriös beantworten. Ich habe darüber schon mit vielen Wetterpäpsten gesprochen. Fakt ist: 2009 war ein schlechtes Windjahr, 2010 ein grottenschlechtes, 2011 ist bis jetzt auch noch nicht der Hit. Das gilt für 2009 und 2010 für ganz Deutschland, 2011 nur für Süddeutschland, in Norddeutschland haben wir bisher 105 Prozent eines Windjahres.
Die Grünen im Regionalverband haben ein ehrgeiziges Etappenziel – 20 Prozent Windstrom in Ostwürttemberg bis 2020. Wie wollen Sie das schaffen? Es ist politisch ein ehrgeiziges Ziel. Aber es geht. Wir stehen nicht am Anfang, wir haben in der Region 4,5 Prozent Windstrom – fünfmal mehr als im Landesschnitt. Es gab bei uns schon ein Bewusstsein in der Vergangenheit. Heute gilt: Wir müssen die Ertragsleistung durch Zubau schlicht und ergreifend die nächsten zehn Jahre verfünffachen. Die Bürger können und sollen die Energiewende selber in die Hand nehmen. Das können wir nur erreichen, wenn alle mitmachen – vom Regionalverband über die Gemeinde, die Grundstückseigentümer und Bürger. Last not least muss es ein Beteiligungsangebot für jeden geben.
Sie schlagen Pumpspeicherwerke am Albtrauf vor. Realistisch oder ein Luftschloss? Das ist schon realistisch. Der Ausbau der Regelenergie muss mit dem Ausbau der Regenerativen erfolgen. Stromerzeugung und Stromverbrauch waren und sind nicht konstant, sondern hier herrscht die Chaostheorie. Die Pumpspeicherwerke im Schwarzwald und Montafon werden künftig nicht mehr ausreichen, um die benötigte Regelenergie für Baden-Württemberg bereitzustellen. Also kann man doch über dezentrale Standorte nachdenken, einen für Aalen, Ellwangen, Heidenheim und Schwäbisch-Gmünd. Auch hier gilt, wir haben die Ressource – sprich den nötigen Höhenunterschied und dasWasser.
Der Widerstand gegen Windmühlen ist schon groß. Wie groß wird er erst bei einem Pumpspeicherwerk sein? Das muss die Zukunft zeigen. Aber darüber nachdenken muss erlaubt sein. Der Albrand ist topografisch wie geschaffen. Das ist ein Pfund, das ist ein Rohstoff. Wenn man das versteht, ist nur noch die Frage, wie man die Anlage landschaftsver-träglich baut und die Speicherseen in die Natur integriert. Das eine tun, ohne das andere zu lassen, das gilt auch hier. „Fukushima spricht für sich“ -
Aber wo baut man? Zum Beispiel an der Jagst zwischen Westhausen und Waldhausen. Oder in den Ellwanger Bergen. Da führen der Kocher und die Jagst schon reichlich Wasser. Es gibt ja jetzt schon mehrere Speicherseen, die wegen des Hochwasserschutzes gebaut wurden. Zwischen Essingen und Lauterburg oder zwischen Heubach und den Kitzinghöfen wären Pumpspeicherwerke möglich. Das wäre eine Herausforderung für unsere Stadtwerke. Dass es Jahre dauern wird, macht nichts. Aber: Wir müssen darüber nachdenken und es, wenn möglich, machen.
Architekt und Windmüller
Uli Rink ist Mitglied der Grünen im Regionalverband Ostwürttemberg. Seine Fraktion hat im Juli ein Fünf-Punkte-Programm zum Ausbau der Erneuerbaren Energien vorgestellt. Der Regionalverband will bis Oktober 2012 neue Vorrangflächen für Windkraftanlagen ausweisen. Im Hauptberuf ist Uli Rink Architekt, im Nebenberuf Windmüller. Der 56-Jährige ist Geschäftsführer der Albuch-Wind GmbH. Das Unternehmen betreibt zwei Windmühlen – im Windpark Gnannenweiler und im Windpark Friedrichsruhe bei Berlin. Eine dritte Anlage im fränkischen Vogtland bei Hof steht kurz vor dem Bau.
© Schwäbische Post 02.09.2011
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